2021-11-02 19:13:25
Gastbeitrag einer Juristin...
Hallo!
Ich bin Juristin und habe mich intensiv mit dem Thema „Impfpflicht“ befasst, was ursprünglich durch die Corona-Situation bedingt war.
Meine folgenden Ausführungen sind keine Rechtsberatung, sondern lediglich eine interessierte Auseinandersetzung mit der Thematik. Dafür habe ich mich mit dem EGMR-Urteil aus Quartal 2 befasst, was immer recht plakativ als
„Impfpflicht verstößt nicht gegen Menschenrechte“ zitiert wird.
Tatsächlich ist der Inhalt ergiebiger und in vielerlei Hinsicht richtungsweisend.
Zur EGMR-Rechtsprechung zur „Impfpflicht zur Erreichung von Herdenimmunität“:
Der EGMR prüft dies anhand des Art. 8 EKMR (Recht auf Privatsphäre, wobei dieses sicherlich ein schwächeres Recht ist als Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 1 GG).
Mit recht komplikationsloser Begründung geht der EGMR davon aus, dass dies verhältnismäßig sei, wobei interessanterweise nicht jeder Impfstoff separat betrachtet wird. Eine Tetanusimpfung z.B. bietet keinen Fremdschutz, ist aber in dem tschechischen Impfpaket, um das es hier ging, enthalten.
Weiterhin schien dem EGMR wichtig, dass die Impfstoffe einen hohen Übertragungsschutz bieten.
Interessant wird es an der Stelle, an welcher der EGMR zwischen dem Impfobligatorium und dessen Durchsetzbarkeit unterscheidet. Von Bedeutung ist an dieser Stelle, dass sich auch die Bundesrepublik im Verfahren zu ihrer Masernimpfpflicht äußert und klar macht, dass keine Zwangsimpfungen erfolgen. Sie sagt sogar darüber hinaus:
„Consent is always required“, was m.E. bedeutet, dass die Sanktionen, welche zur Durchsetzung angewandt werden können, nicht willensbrechend, sondern lediglich abstrafend sein dürfen. Das bestätigt auch der EGMR, der feststellt, dass die Anwendung physischen Zwanges von keiner mitgliedstaatlichen Rechtsgrundlage gedeckt sein dürfte.
Hinsichtlich der Durchsetzbarkeit stellt der EGMR klar, dass die individuellen Motive für die Nichtimpfung, z.B. religiöse Gründe, nicht unberücksichtigt sein dürfen. Es ist also ein Erörterungsgespräch zu führen. Zudem befindet er die tschechischen Sanktionsmodalitäten (Ausschluss von der KITA, nicht aber der Schule + einmaliges Bußgeld) für angemessen. Das deckt die vorher geäußerte Annahme, dass man hier nicht in die Zwangsvollstreckung gehen darf, wie es einzelne Behörden offenbar praktizieren, denn man muss klar differenzieren zwischen der Buße für den Pflichtverstoß und der Vollstreckbarkeit.
Das im Masernschutzgesetz vorgesehene Zwangsgeld mag z.B. in Fällen anwendbar sein, in denen eine Einrichtung ein Betretungsverbot aussprechen muss und sich weigert, sicherlich aber nicht zur Durchsetzung des Impfobligatoriums beim Individuum.
Daraus schließe ich: Impfobligatorien sind theoretisch möglich, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Ihre Nichteinhaltung kann mit einem Bußgeld geahndet werden, eine Vollstreckbarkeit besteht nicht.
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Weiter oben im Chat sind bereits drei Nachrichten über das EGMR-Urteil mit weiterführenden Links:
https://t.me/Masernschutzgesetz/171
https://t.me/Masernschutzgesetz/175
https://t.me/Masernschutzgesetz/176
1.0K viewsCarolin Jost-Kilbert, 16:13