2021-10-20 22:42:59
LICHT UND SCHATTEN
Es gibt da dieses Buch: "Faserland" von Christian Kracht. Von einem Informanten weiß ich, dass das Werk, das aus den neunziger Jahren stammt, inzwischen als zeitgenössische Literatur Eingang findet in den Deutschunterricht. Grund genug, es zu lesen.
"Faserland" handelt von Sturz und Fall eines jungen Mannes. Im Text kann man recht deutlich drei etwa gleich große Teile ausmachen, die ich wie folgt nennen möchte: "1. Oberflächlichkeit", "2. Verletzlichkeit" und "3. Sturz".
Der Protagonist ist neureich, geht keiner Arbeit nach weil er es nicht muss, und bewegt sich von Party zu Lustbarkeit und von einem Impuls zum nächsten. Teil 1. berichtet von diesem Leben, es sind banale Ereignisse, die auf oberflächliche Weise berichtet werden. Aus Mangel an Bemerkenswerten möchte man das Buch hier weglegen.
Doch der Protagonist leidet an der Bedeutungslosigkeit seiner Welt und seines Daseins. Im Teil 2 erweist er sich als verletzlich, und es scheinen zum ersten Mal eigene, mitteilenswerte Reflexionen auf. Hier könnte eine Entwicklung hin zum Guten einsetzen. Das ist aber nicht der Fall, Leid und Reflexionen bleiben episodisch, ohne eine zutagetretende Richtung. Der Protagonist ist nämlich Säufer, und der Alkohol zerstört jeden konstruktiven Impuls in der Wurzel.
Teil 3 ist einfach die Umsetzung dessen, was in 1 und 2 angelegt wurde. Der Protagonist treibt weiter von einer Zufälligkeit zur nächsten; er trinkt weiter schwer; Halluzinationen stellen sich ein; ein Bekannter sirbt. Das Buch endet schließlich mit dem (mutmaßlichen) Suizid des Protagonisten.
Der Text ist gut aufgebaut und erfasst auch die Frage der gelingenden oder fehlschlagenden Sinnfindung im Leben sehr präzise. Wenn man über die zwar nur scheinbare, aber bestimmende Banalität des Protagonisten hinweglesen kann, dann ist "Faserland" ein sehr lesenswertes Buch.
Es ist aber auch ein Buch, das präzise für eine Zielleserschaft geschrieben wurde, und zwar hin bis zum Klischee. Ich gebe drei Beispiele:
* der Protagonist von "Faserland" ist genau wie sein Soziotop neureich und markenfetischistisch. Dass diese Kreise oberflächlich, beliebig und innerlich arm sind, liest jeder mittelmäßige Deutschlehrer natürlich gern.
* körperliche Erotik findet im Buch fast vollständig als schwule Erotik statt. Auch dies ist klischeehaft, und drittens:
* das Land "Deutschland", das des öfteren in toto adressiert wird, wird als erschöpft, degeneriert, ohne Tiefe und sogar abschaffenswert gesehen. Seine Geschichte besteht aus Nazis, Nazis, Nazis.
Dass Kracht dem Buch diesen Grundton gab: das hat den Markterfolg des Buches, inzwischen bis hinein in den Schulunterricht, doch erheblich erleichtert. Das Buch hätte aber an Qualität gewonnen, wenn die Handlung weniger stereotyp eingebettet worden wäre.
#literatur #kracht #faserland
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