2024-03-19 16:25:42
DIE TRENNLINIE ZWISCHEN GUT UND BÖSE
ES WAR MIR VERGÖNNT, aus meinen Gefängnisjahren auf meinem gebeugten Rücken, der unter der Last fast zerbrach, diese wesentliche Erfahrung mitzunehmen: wie ein Mensch böse und wie er gut wird. Im Rausch jugendlicher Erfolge hatte ich mich für unfehlbar gehalten und war deshalb grausam. Im Überschwang der Macht war ich ein Mörder und Unterdrücker. In meinen übelsten Momenten war ich überzeugt, Gutes zu tun, und ich war mit systematischen Argumenten gut ausgestattet. Und erst als ich verrottend auf dem Gefängnisstroh lag, spürte ich in mir die ersten Regungen des Guten.
ALLMÄHLICH WURDE MIR KLAR, dass die Trennlinie zwischen Gut und Böse nicht durch Staaten, nicht zwischen Klassen und auch nicht zwischen politischen Parteien verläuft, sondern mitten durch jedes menschliche Herz - und durch alle menschlichen Herzen. Diese Linie verschiebt sich. Sie pendelt in uns mit den Jahren. Und selbst in den Herzen, die vom Bösen überwältigt sind, bleibt ein kleiner Brückenkopf des Guten erhalten. Und selbst im besten aller Herzen bleibt ... ein nicht entwurzelter kleiner Winkel des Bösen.
SEITDEM HABE ICH DIE WAHRHEIT aller Religionen der Welt verstanden. Sie kämpfen mit dem Bösen im Inneren eines Menschen (in jedem Menschen). Es ist unmöglich, das Böse in seiner Gesamtheit aus der Welt zu vertreiben, aber es ist möglich, es in jedem Menschen einzuengen.
UND SEITDEM HABE ICH DIE FALSCHHEIT aller Revolutionen der Geschichte begriffen: Sie zerstören nur die Träger des Bösen ihrer Zeit (und versäumen es in der Eile, auch die Träger des Guten zu unterscheiden). Und sie nehmen als ihr Erbe das eigentliche Böse selbst an, nur in noch größerem Maße.
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