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WINTERREISE ( 1 / 2 ) In einem Artikel über #Spitzweg im Janu | NRD-Kultur

WINTERREISE ( 1 / 2 )

In einem Artikel über #Spitzweg im Januar des letzten Jahres hieß es an dieser Stelle:

"Biedermeier und Vormärz, das war keine friedliche und beschauliche Zeit. Zwar war Napoleon besiegt, dieser Umstürzler, aber nun wollten viele Bürger und Studenten und Bohemes: Freiheit! Gleichheit! Nation!
Solcherlei Gedankengut war natürlich gefährlich, und die herrschende Kaste etablierte ein Unterdrückungssystem:
Zensur! Überwachung! Repression!, und Metternich als dessen Proponent.

Einem sensiblen Künstler setzt das zu. Viele von Spitzwegs Bildern sind Eskapismus. Typischerweise eine Flucht ins Schöne. Ins zu Schöne. Oder in ein Stück heiler, allzu heiler Welt. Die Bilder sind idyllisch, aber das Idyll ist immer gebrochen."

Man muss sich das so vorstellen: über allem lag im Biedermeier der Schatten der Unfreiheit, die zermürbende Last der Kontrolle von außen. Ein so allgegenwärtiges Gefühl wie Rheuma, Zahnweh, oder der kürzliche Tod eines nahen Menschen. Dass sich die freie Kunst ganz wesentlich im Privaten abspielte, lag nicht daran, dass man idyllische Beschaulichkeit und Privatesse an sich schätzte, sondern an dem Risiko, dem man sich bei freier Kunst und Rede ausgesetzt sah. Es war damals nicht beschaulich. Und kein Ponyhof.

Oben hieß es: Spitzwegs Idyll ist gebrochen. Auf musikalischen Gebiet bricht Franz Schubert mit seinem Liederzyklus "Winterreise" ein Liebesidyll, und geht dabei weiter als Spitzweg, hinein bis ins Existenzielle. Wie auch Spitzwegs Bilder ist die "Winterreise" doppelbödig. Es gibt da eine vorgeschobene Handlung, man könnte sagen, eine Hülsenhandlung: ein junger Mann geht in einer fremden Stadt seiner Liebe verlustig; er verlässt die Stadt im Winter, als Wanderer ohne Ziel. Er ist emotional hin- und hergeworfen zwischen glücklichen Visionen und tiefster Verzweiflung. Das Ende ist aussichts- und hinweislos.

Auf einer tieferen Ebene jedoch ist nicht die Liebe gemeint, es geht nicht um den Verlust der (nie geschilderten, gesichtslos bleibenden) Geliebten. Gemeint ist etwas anderes: die Ortlosigkeit, der sich ein denkender und fühlender Mensch im Biedermeier ausgesetzt sieht. Der "Wanderer" der Winterreise ist heimatlos, ein Vertriebener im eigenen Lande, genauso wie das Ich in Schuberts uncodiertem "#FremdlingsAbendlied". Wie auch in Heines "Wintermärchen" ist in Schuberts Liederzyklus der Winter eine Metapher für die erdrückende Restaurationspolitik. Wir begegnen der "Krähe" als Synonym für "Denunziant/Mitläufer". Dem Hund als Schergen - völlig offensichtlich zB in der Zeile "Es bellen die Hunde, es rasseln die Ketten". Oder als dem, den man verjagt.

Die "Winterreise" ist aber weder ein platter Schlüsselroman, noch geradlinige Programmusik. Sie ein kafkaesker Spiegel des unbarmherzigen Biedermeier, psychologisch reich und an vielen Stellen überwältigend.

Ich kenne diesen Liederzyklus schon lange. Kürzlich habe ich ihn in einer hervorragenden Aufführung gehört, und erst jetzt in dieser Zeit, die leider so viel mit dem Biedermeier gemeinsam hat, habe ich ihn wirklich verstanden.

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