2021-10-27 19:12:34
Das wichtigste Kapital eines demokratischen Staates ist das Vertrauen der Bürger in dessen Institutionen. Es ist das Vertrauen darauf, daß der Staat über diese Institutionen die Sicherheit und öffentliche Ordnung, die Wahrung des Rechts und eine lebensnotwendige Infrastruktur gewährleistet. Es ist das Vertrauen darauf, daß die Demokratie durch sie die Gewaltenteilung achtet, wodurch sich Legislative, Exekutive und Judikative gegenseitig kontrollieren und — ganz wichtig! — ihre Macht auf das notwendige Maß begrenzen.
Doch noch nie war das Vertrauen so stark erschüttert wie heute. In der gängigen Erzählung der regierungsnahen Medien handelt es sich in der Regel um die Markierung von Bevölkerungsgruppen, die angeblich die Gesellschaft spalten. In letzter Zeit werden dafür immer neue Begriffe gefunden:
Es begann mit der inflationären, schon grotesk zu nennenden Zuschreibung »Rechtsextremist« für jeden außerhalb des verengten Meinungskorridors denkenden Bürger. In nur wenigen Jahren kamen »Verschwörungstheoretiker«, »Reichsbürger«, »Querdenker«, »Impfgegner« und »Corona-Leugner« hinzu — und man darf gespannt sein, welches neue Bannwort als nächstes aus dem Hut gezaubert wird.
Aber mit dem Vertrauen ist das so eine Sache: Man kann es nur selbst verwirken. Kein noch so böses Gerücht verfängt, wenn man den Vorwurf dem Beschuldigten nicht einfach nicht zutraut. Doch es sind wiederholte Enttäuschungen, die dazu beitragen, daß man beginnt, diese Gewissheit zu verlieren. So verhält es sich mit Einzelpersonen wie mit Institutionen. Insofern sind die »Wutbürger« nicht die Ursache des Problems, sondern ein Symptom. Der wirkliche Grund für den Vertrauensverlust in die Institutionen ist allein beim charakterlich zweifelhaften Personal zu suchen. Jedem Leser werden spontan gleich eine ganze Reihe an Beispielen einfallen…
Nehmen wir aus aktuellem Anlaß beispielsweise das Bundesverfassungsgericht. Es trägt nicht unbedingt zum Vertrauen bei, wenn das Bundesverfassungsgericht einen Befangenheitsantrag gegen den eigenen Präsidenten, Stephan Harbarth, ablehnt. [1] Hintergrund war die Teilnahme von Richtern des Bundesverfassungsgerichts an einem vertraulichen Essen im Bundeskanzleramt im Juni unmittelbar vor einem Verfahren zur Merkels Intervention gegen die Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten. Außerdem ist noch eine Klage gegen die Pandemiepolitik der Bundesregierung anhängig. Der Bundesverfassungsrichter Harbarth steht der Regierung und insbesondere auch der angegriffenen Bundeskanzlerin Angela Merkel in mehrfacher Hinsicht nahe: Er selbst ist CDU-Parteimitglied, er machte für Merkel Wahlkampf und war bis zu seiner Berufung zum Bundesverfassungsgericht stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Zudem stellte sich heraus, dass Justizministerin Lambrecht anlässlich dieses Dinners auf Anregung des Bundesverfassungsgerichts zu den Corona-Maßnahmen referieren durfte – der Vortrag lese sich »wie eine Handlungsempfehlung der Exekutive an das Bundesverfassungsgericht«, kritisierte damals der Würzburger Staatsrechtler Kyrill-Alexander Schwarz [2].
Um schon im Vorfeld den Eindruck eines Interessenskonflikts zu vermeiden, wäre es angemessen gewesen, dem Treffen fernzubleiben. Denn nur so kann das Vertrauen in die wichtigste Instanz der Judikative gewahrt bleiben. Aber die Zeiten sind vorbei, als es noch Politiker gab, die aus eigenem Entschluß zurücktraten, wenn sie den Eindruck hatten, nicht mehr das Vertrauen der Bürger zu genießen. An die Stelle von Staatsmännern ist ein Typus getreten, den man früher als Parvenü bezeichnet hätte. Emporkömmlinge, deren zwergenhafter Stolz über die – nicht unbedingt in erster Linie durch Leistung und Kompetenz verdiente – Karriere sie gegen jede Kritik und Selbstzweifel immunisiert. Sie denken gar nicht daran, den Sessel der Macht zu räumen.
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