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ZUR GERMANISCHEN HEILKUNDE.* Von Dr. Herbert Reier. 1936. Teil | Vaterländischer Weiberbund🌹

ZUR GERMANISCHEN HEILKUNDE.*
Von Dr. Herbert Reier. 1936.
Teil 1)

Jakob Grimm, der eigentliche Begründer der Germanistik,
sowie seine Mitarbeiter hatten das Ziel, die Quellen germanischen Volkslebens aus längst vergangenen Zeiten aufzudecken. Seitdem fällt den Germanisten ein Hauptanteil
an dieser Arbeit zu. Die germanische Heilkunde ist jedoch
bisher von der Germanistik nicht genügend berücksichtigt
worden. Eine ihrer meistbenutzten Stoffsammlungen blieb
Jakob Grimms „Deutsche Mythologie“ von 1835. Daher
haftet der germanischen Heilkunde die Verquickung mit
bald kultischen, bald abergläubischen Elementen bis zum
heutigen Tage an. Karl Weinhold freilich versuchte, in
seinem Buch „Altnordisches Leben“ 1856 unmittelbar die
nordischen Quellen sprechen zu lassen. Er zitiert mehrere
altisländische Sögur als Zeugnisse nordgermanischer Heilkunst. Sein Urteil über den Wert dieser Quellen lautet
(S. 392): „Wir sind leicht geneigt, die Kenntnisse und Geschicklichkeiten unserer ungelehrten Vorzeit zu gering anzuschlagen, und so dürfte es auch mit der Heilkunde gehen.“
Aber er streift die Heilkunst nur im Vorübergehen (vgl.
S. 398). — Leider blieb Weinhold, der noch Germanist
und Volkskundler in einer Person war, ohne germanistische
Nachfolger. Lediglich Moritz Heyne erwähnt in seinem
Werk „Körperpflege und Kleidung bei den Deutschen, von
den ältesten geschichtlichen Zeiten bis zum 16. Jahrhundert“
(1903) noch nordische Quellen. Dagegen schwindet die
germanische Heilkunde sowohl dem Vorgeschichtler Gustav
Kossina (vgl. Germanische Kultur im 1. Jahrtausend n. Chr.
Leipzig 1932) wie auch dem Germanisten Gustav Neckel
(vgl. Die Kultur der alten Germanen. Potsdam 1934) völlig
aus dem Gesichtskreis.
Von den Medizinhistorikern teilt Heinrich Haeser mit
Weinhold noch das Urteil über die „nicht geringe Stufe
der Bildung“ bei den Germanen. Er sucht andererseits Weinhold s Darstellung durch Schilderung keltischer Verhältnisse zu ergänzen.
In den wissenschaftlichen Arbeiten nach 1900 aber ist
die germanische Heilkunst ein Arbeitsfeld für Volkskundler
und Kulturhistoriker geworden. Germanistisches Wissen
wird nur noch den Wörterbüchern entnommen, so daß sich
Sudhoff mit Recht über ,,den schon schwer verknöcherten
Dogmatismus der Linguistik“ beklagt (Mitt. Gesch. Med. u.
Naturwiss. 13, 255). Zeugnis für diesen Wandel legt Max
Höflers ,,Altgermanische Heilkunde“ in Puschmanns
Handbuch (Jena 1902) ab. Der Volksaberglaube ist stark in
den Vordergrund getreten. Die wichtigste Aufgabe des
Medizinmannes sei die Dämonenaustreibung gewesen, woneben sich die germanischen Weiber mit Pflanzenzauber be¬
gnügt hätten. Ein sprachlicher Irrtum Höflers ist die
Übersetzung von ,,ödäinsakr“ durch ,,Odinsacker“ (S. 477),
es handelt sich vielmehr um das „Feld der Unsterblichkeit“.
So dankenswert die Höflerschen Darstellungen im einzelnen
auch sein mögen — die meisten Schilderungen der germanischen Heilkunde berufen sich auf ihn —, so führt von ihrer
Gesamthaltung doch kein Weg in die Zukunft. Man kann
nicht Geschichte treiben und sich dabei auf Teilgebiete
(Mythologie und Aberglauben) beschränken. Vielmehr müssen
nun endlich die Quellen für Einzeluntersuchungen, wie
Sudhoffs Aufsätze in Hoops Reallexikon herangezogen
werden, die das germanische Altertum nicht bei Kult oder
Dichtung belauschen, sondern es in seinem Alltag aufsuchen.
Diese bisher noch vernachlässigten Quellen sind die altisländischen Sögur. Sie wurden gründlicher zuerst von einem Nordländer, nämlich von Grön, in seiner „Altnordischen
Heilkunde“ (Janus 1907/08) bearbeitet...

* Nach einem Vortrag auf der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Geschichte
der Medizin und der Naturwissenschaften am 2. IX. 1935 in Bamberg.

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