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3.6 'Tribalismus' Tribalismus, also die zentrale Identifizieru | Nachrichten von Gestern und Heute

3.6 "Tribalismus"
Tribalismus, also die zentrale Identifizierung einer Person mit dem eigenen „Stamm“ ist in den meisten afrikanischen Staaten heute nicht mehr von großer Bedeutung. Vielerorts spielt er eine untergeordnete Rolle in kulturellen, familiären, religiösen und professionellen Kontexten. Politisch und systematisch ist er sehr oft nicht mehr zu erkennen, aber in aktuellen Konflikten wird er häufig als Ursache benannt. Tribalistische Gewalt findet nicht nur in ländlichen Regionen statt, sondern auch in den Städten und Großstädten.
„Tribalismus“ gehört eigentlich in Anführungszeichen, denn meiner Meinung nach hat dieses Wort derart koloniale und eurozentristische Wurzeln, dass er ersetzt werden sollte. „Tribalismus“ bezeichnet nämlich nichts anderes als Nationalismus. Gemeint sind hierbei nicht die heutigen Nationalstaaten Afrikas, sondern die indigenen Nationen, die vor der Ankunft der Europäer bestanden. Diese Europäer nannten diese Nationen „Stämme“, „tribus“ oder „tribes“, weil das die Worte waren, mit denen sie die sozialen Konstrukte ihrer antiken Vorfahren der Germanen, Gallier oder Angelsachsen bezeichneten. Mit diesen Worten stellten sie die indigenen afrikanischen Nationen als nicht gleichwertig und unzivilisiert dar. In Ermangelung eines besseren Wortes - „Nationalismus“ ist wegen der heutigen Nationalstaaten zu irreführend - werde ich hier „indigener Nationalismus“ verwenden. Außerdem werde ich an Stelle des „Stammes“ hier von der „Nation“ sprechen, wie bei den Indigenen Nordamerikas.
Es gibt in der afrikanischen Geschichte nach 1960 einige Beispiele dafür, in denen „tribalistische“ Vorurteile politisch umgesetzt wurden. Bekannteste Beispiele sind die Konflikte zwischen den Hutu und Tutsi in der Region der Großen Seen, das politische System Somalias, die Konflikte zwischen Vieh- und Ackerwirten in der Sahel-Zone und die Ivoirité in der Elfenbeinküste.

3.6.1 Konflikte zwischen Vieh- und Ackerwirten?
Der Konflikt zwischen Viehwirtschaft betreibenden Landwirten und Ackerwirtschaft betreibenden Landwirten in der Sahel-Zone, kommt wegen der hohen Todeszahlen häufig in internationalen Medien vor. Der Konflikt zentriert sich um die Knappheit von Weideland und Wasser, was beide Gruppen für sich beanspruchen. Beide Gruppen benötigen diese Ressourcen für ihre Lebensgrundlage und meistens werden die Konflikte friedlich gelöst (3). Dadurch, dass immer mehr Land zur Ackerwirtschaft, anstatt zur Weidewirtschaft verwendet wird, trocknet es schneller aus (2).
Im Westen der Sahel-Zone, in Mali, leben 80% der Bevölkerung von der Landwirtschaft, die 45% des BIPs ausmacht (2). Der lukrativste Agrarsektor ist der Anbau von Baumwolle, der alleine 25% des BIPs ausmacht und das zweitwichtigste Exportprodukt Malis ist. Einerseits ist der Export dieses Rohstoffes ein wichtiger Weg für den Staat, um an stärkere Fremdwährungen zu kommen, andererseits benötigt die Baumwolle extrem viel Wasser und trägt dabei nicht zur Ernährungssicherheit bei. Der ebenfalls viel angebaute Reis benötigt ebenfalls viel Wasser (2). Nach Gold und Baumwolle ist Vieh das drittgrößte Exportprodukt. Es handelt sich bei diesem Konflikt also nicht bloß um Streitereien unter Nachbarn, sondern sie betreffen zentrale Zweige der malischen Volkswirtschaft und anderer Volkswirtschaften der Sahel-Zone.
Nichtsdestotrotz sei angemerkt, dass die meisten Landwirte für ihre Selbstversorgung und die Gemeinde wirtschaften und der Konflikt daher tatsächlich die Lebensgrundlagen betrifft. In der Tschad-See-Region gibt es außerdem Konflikte über künstlich angelegte Fischteiche, in denen das Vieh manchmal ertrinkt. Dieser grundlegende Ressourcenkonflikt, der durch den Klimawandel verschärft wird, wird in internationalen Medien häufig mit „interkommunale Kämpfe“ beschrieben. Dieses Wort vermittelt, dass hier ein Konflikt zwischen zwei Gemeinden vorliegt, aber er verdrängt den „tribalistischen“ Charakter dieser Auseinandersetzungen und er verdrängt, dass diese zwei Gemeinden bis vor kurzem eine Gemeinschaft gebildet haben.