2022-01-12 22:01:17
Da fragte er: >Warum?< Ich begriff nicht, was er wollte, da fragte er wieder: Warum soll ich dich fahren lassen?< Ich sagte: >Ich habe kein Geld, will aber unbedingt fahren<. Da antwortete der Aufseher: Wenn du meine Frage beantworten kannst, brauchst du keinen Fahrschein mehr zu kaufen.<«
>Was will er denn? Was kannst du darauf antworten?«
»Was weiß ich?! Ich habe es ein paar Mal probiert, aber der Alte hat immer gesagt: >Falsch.<«
Bubi hatte das ganze Gespräch mitverfolgt, da kam ihm eine Idee. Auf einmal wurde ihm alles klar. Er sah sich selbst und die anderen quasi von außen. Bubi wusste, dass er immer jemand hatte sein wollen - einer wie die anderen der Sandkastenclique. Aber jetzt empfand Bubi etwas Außergewöhnliches: Er war niemand und gleichzeitig jeder von ihnen. Und ihm wurde klar: Würden sie alle aufhören, ihre Rolle zu spielen - mit anderen Worten, würden sie ihre Masken fallenlassen -, dann wäre jeder von ihnen wie er selbst, das heißt niemand.
Gleichermaßen ist jeder Wassertropfen, der von einem Wellenkamm herabstürzt, hinsichtlich Größe und Form individuell. Doch das Wesen aller Tropfen ist gleich: Wasser.
Und früher oder später kehren Sie alle ins Meer zurück und werden wieder eins mit ihm.
Für Bubi war in diesem Augenblick alles klar. Überrascht von sich selbst, sagte er:
»Ich kenne die Antwort auf die Frage des Aufsehers.«
Alle hielten inne und starrten Bubi ungläubig an. Niemand hätte es für möglich gehalten, dass er so aus sich herauskam.
»Und - was ist die Antwort?«, fragte Schlaumeier behutsam.
»Kommt mit in den Park, ihr werdet schon sehen«, sagte Bubi und stand auf, offenbar um seinen Plan auszuführen.
Gespannt folgten ihm die anderen Kinder. »Das ist aber noch nicht alles«, flüsterte Streithahn dem Schlaumeier ins Ohr. » Dort ist der Pförtner, und der hat seine eigene Frage: Wer hat euch die Erlaubnis gegeben? » Bubi ist irgendwie komisch heute. Mal sehen, was er darauf sagt.«
Bald kamen die Kinder am Tor des Parks an. Ein böser Mann von furchterregender Gestalt versperrte ihnen den Weg.
»He, wohin des Wegs, ihr kleinen Strolche?
« Bubi trat vor.
»In den Park, Karussell fahren.«
Den Pförtner verblüffte diese einfache Antwort, und er war sich nicht sicher, ob er zornig werden oder lauthals lachen sollte.
»Wer sind eigentlich deine Eltern? Gehorchst du ihnen? Und überhaupt, von wem hast du eine Erlaubnis bekommen? Was hast du dazu zu sagen?«
»Dass ich nicht verpflichtet bin, dir zu antworten«, sagte Bubi ruhig.
Der Pförtner erstarrte. Zum ersten Mal hatte er die richtige Antwort bekommen. Woher konnte dieses kleine Kind das wissen? Sprachlos öffnete der Pförtner den Kindern das Tor und sah ihnen noch lange erstaunt hinterher.
Während sich die Kinder behutsam dem Karussell näherten, kam der Aufseher ihnen entgegen.
»Was wollt ihr, Kinder?«
»Karussell fahren«, antwortete Bubi.
»Wozu?«, erkundigte sich der Alte wie gewöhnlich.
»Zu gar nichts, einfach so«, entgegnete Bubi, ohne zu zögern. Der Aufseher blickte ihn mit unverhohlener Neugier an.
»Nun, aber warum?« »Weil ich Gottes Sohn bin.«
Augenblicklich war es mucksmäuschenstill. Die Kinder hielten ungläubig inne, dann begannen sie, vor Freude zu hüpfen, und riefen laut: »Wir sind Kinder Gottes! Wir sind Kinder Gottes!«
Von da an stellte ihnen niemand mehr solche Fragen. Irgendwie war allen alles klar, ohne jegliche Erklärung. Der Aufseher, der über das ganze Gesicht strahlte, spendierte jedem der Kinder ein Eis und lud sie ein, sich einen Sitzplatz auf dem Karussell auszusuchen.
Seltsamerweise fand jeder für sich einen Platz nach seinem Geschmack, ohne dass - wie sonst - ein Streit entbrannte. Prahlliese nahm das Pferdchen, Junkerhannes das Auto, Streithahn die Lok, Schlaumeier das Raumschiff und Heulsuse das Schiff.
Das Karussell drehte sich. Und dann geschah ein Wunder: Die vorigen Rollen waren irgendwie verschwunden, die Masken waren von den Gesichtern der Kinder gleichsam abgefallen. Die Kinder hatten aufgehört, irgendjemand zu sein, und waren einfach nur noch sie selbst.
33 views19:01