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Als der Sommer wiederkam... und die Blumen aus dem Gras schön | Neue lichtvolle Welt 💫



Als der Sommer wiederkam...

und die Blumen aus dem Gras
schön und lieblich sprossen,
wo all die Vögel sangen,
da kam ich gegangen
zu einer Wiese groß und weit,
aus der ein klarer Quell entsprang.
Am Waldesrand floss er dahin,
dort sang die Nachtigall.

Bei der Quelle stand ein Baum,
da beglückte mich ein Traum –
ich war aus der Sonne
zum Wasser hin entwichen,
wo die willkommne Linde
mir kühlen Schatten gab.
Wie ich an der Quelle saß,
meine Sorgen ich vergaß,
und schnell schlief ich darüber ein.

Da erschien es mir sogleich,
dass alle Welt mir war zu Diensten,
und meine Seele schwebte
im Himmel, sorgenfrei.
Mein Körper aber mochte
hier leben, wie er wollte –
wie gut ging's mir dabei!
Gott füge, wie es kommen soll,
doch einen schönren Traum träumte ich noch nie!

Wie gerne hätt' ich weiter dort geschlafen,
als eine unglückselge Krähe
fing lauthals an zu schreien. –
Solln alle Krähen doch gedeihen,
wie ich es ihnen gönne!
Sie nahm mir so viel Glück.
Von ihrem Krächzen wacht' ich auf –
hätte dort ein Stein gelegen,
es wär' für sie der Jüngste Tag gewesen!

Eine ganz uralte Frau
sprach mir aber Trost.
Sie schwor ihren Eid darauf
und erklärte mir,
was dieser Traum bedeute.
Merkt auf, ihr lieben Leute:
Zwei und einer, das sind drei –
und dann verriet sie mir dabei,
dass mein Daumen auch ein Finger sei.


Gedicht:
Walther von der Vogelweide
(gilt als der bedeutendste deutschsprachige Lyriker des Mittelalters)
Übertragung: Hans Hegner


@SUEDTIROL_in_allen_FARBEN