2022-07-07 17:55:05
Schwäbische:
Ravensburger „Lebensmittelretter“ stehen wegen Diebstahls vor Gericht
Selbst nennen sie sich Lebensmittelretter. Der Staat hält sie für Diebe. Zwei junge Leute standen am Donnerstag vor dem Ravensburger Amtsgericht. Der Vorwurf: Sie sollen aus Abfallcontainern von Supermärkten und Bäckereien abgelaufene, weggeworfene Waren mitgenommen haben, um sie zu verschenken.
Charlie Kiehen (20) und Samuel Bosch (19) stehen vor Gericht. Sie sind mit der Nennung ihres Namens in der Presse ausdrücklich einverstanden. Begleitet wurde die Verhandlung von einer Solidaritätsveranstaltung neben dem Amtsgericht in der Herrenstraße. Außer Bannern und Tafeln gab es dort Frischkäse, Gurken und Zucchini für umsonst. Gedacht als „Mahnwache“ gegen Lebensmittelverschwendung.
Essbares Essen landet im Müll
Auch diese Ware soll vom „Containern“ stammen, das lässt sich aber nicht belegen. „Containern“ ist das Mitnehmen weggeworfener Waren aus Supermarkt-Abfallbehältern. Häufig landet dieses Essen im Müll, weil das aufgeprägte Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist und das Produkt daher nicht mehr verkauft werden kann. „Containern“ tun nicht nur Obdachlose oder Menschen mit sehr wenig Geld. Vielfach sind auch Aktivistinnen und Aktivisten dabei, die damit ihren Protest gegen Lebensmittelverschwendung demonstrieren wollen.
Charlie Kiehen und Samuel Bosch geht es um Protest. Bosch verwies vor Gericht darauf, dass laut Statistiken ein Drittel aller Lebensmittel in Deutschland im Müll landet. Kiehen ergänzte, dass hingegen nach aktuellen Angaben der Weltgesundheitsorganisation 828 Millionen Erdenbürger an Hunger leiden. Angaben zur Sache, also der Anklage, wollten beide nicht machen.
Polizei stoppte offenbar die Aktivisten
Die beiden Angeklagten, so das Gericht, sollen nachts auf einem Lidl-Markt in Weingarten nach Angaben eines Augenzeugen beim „Containern“ gesehen worden sein. Die alarmierte Polizei stoppte kurz danach einen VW Caddy, der mit Essen, aber auch Verpackungskisten und einem Einkaufswagen befüllt war. Nur zum Teil ließ sich aufgrund der Aufdrucke der Ware nachweisen, woher sie stammte.
Keiner der betroffenen Discounter oder Bäckereien stellte Strafanzeige. Denn das Zeug, das vielleicht mitgenommen wurde, war ohnehin Müll, für dessen Entsorgung sie hätten Geld bezahlen müssen. Die Anzeige übernahm daher die Staatsanwaltschaft. Wobei die Richterin am Amtsgericht sagte, der „Unrechtsgehalt“ sei in diesem Fall im „unteren Bereich“, eine große Schwere der Schuld nicht erkennbar. Sie schlug daher vor, das Verfahren einzustellen.
Angeklagte wollen einen Freispruch
Dagegen wehrten sich die Angeklagten. „Wir wollen freigesprochen werden“, sagte Samuel Bosch. Charlie Kiehen ergänzte, dass sie lediglich in einem Auto mit Lebensmitteln saßen, als die Polizei sie stoppte. Der Nachweis eines Diebstahls sei nicht vorhanden. Der Augenzeuge war krankheitsbedingt nicht bei der Verhandlung dabei. Die Angeklagten stellten zahllose Beweisanträge, daher wurde der Prozess vertagt.
Auch wenn Samuel Bosch und Charlie Kiehen vor der Justiz argumentierten, ihnen sei nichts Illegales nachzuweisen, veröffentlichten die Aktivisten kurz vor der Verhandlung eine Mitteilung, in der es heißt: „Trotz des Risikos, strafrechtlich verfolgt zu werden, gehen wir weiterhin containern. Wir können nicht weiter tatenlos mit ansehen, dass gute Lebensmittel im Müll landen, anstatt gegessen zu werden. Es wird Zeit, dass nicht das Retten von Lebensmitteln bestraft wird, sondern dass Konzerne noch haltbare und genießbare Lebensmittel wegschmeißen.“l
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