2022-05-22 19:04:57
Beschluss des BVerfG zur einrichtungsbezogenen Nachweispflicht – 1 BvR 2649/21 vom 27.4.2022
Teil I - Leitsätze (1)
In diesem und den nachfolgenden Posts möchte ich zusammenfassend das Ergebnis meiner Analyse des Beschlusses des BVerfG vom 27.4.2022 betreffend die einrichtungsbezogene Nachweispflicht vorstellen.
Wie vieles im Leben ist der Beschluss nicht nur „schwarz“, sondern es gibt zumindest vereinzelte „weiße“ Punkte; auch wenn selbstredend das
Ergebnis der Beurteilung und Abwägung des BVerfG sowohl aus verfassungsrechtlicher als auch aus arzneimittelrechtlicher Sicht
für mich nicht vertretbar ist. In keiner Weise halte ich den Beschluss für eine Rückkehr zur gewohnten verfassungsrechtlichen Rechtsprechung.
Abgesehen davon, dass der Beschluss gravierende Mängel in Bezug auf die Ermittlung der Aspekte der für die Entscheidung maßgeblichen Tatbestandsgrundlage aufweist, sind auch die Ergebnisse der Abwägung zwischen Grundrechten m.E. nicht mit Verfassungsgrundsätzen vereinbar.
Meine Auffassung von verfassungsrechtlicher Rechtsprechung stimmt mit dieser Entscheidung des BVerfG jedenfalls nicht überein und meiner Ansicht nach sind die Erwägungen des Beschlusses auch nicht mit bisheriger verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung in Einklang zu bringen, wie sie beispielsweise noch unter einem Präsidenten Prof. Dr. Papier in der Entscheidung zur Abschussberechtigung im Luftsicherheitsgesetz getroffen wurde (BVerfG 1 BvR 357/05 vom 15.2.2006), in der die Abwägung "Leben gegen Leben" ausdrücklich als verfassungswidrig klassifiziert wurde.
Allerdings – und das ist positiv zu sehen - eröffnet der Beschluss in einigen Punkten auch gute Argumentationsmöglichkeiten für die Prozesse in fachgerichtlichen Verfahren vor den Verwaltungsgerichten.
Eine der wenigen weißen Punkte der Entscheidung finden sich gleich zu Beginn in den
Leitsätzen. Möglicherweise hatte das BVerfG doch Hemmungen, die Beeinträchtigung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit bereits mit der Begründung zu verneinen, es läge keine unmittelbare Impfpflicht, sondern lediglich eine Nachweispflicht vor. In diesem Sinne ist positiv zu vermelden, dass das BVerfG folgende wesentliche Aussagen in seinen Leitsätzen getroffen hat:
Die in § 20a IfSG geregelte Pflicht zum Nachweis einer „COVID-19-Schutzimpfung“ ist aufgrund der Zielsetzung des Gesetzgebers, die Betroffenen durch Konfrontation mit Nachteilen (Bußgeld, Betretungs- und Tätigkeitsverbot) dazu zu bewegen, die Injektion zu nehmen und ihr Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nicht wahrzunehmen, stellt einen direkten Eingriff in das Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG dar Wörtlich:
" 1. S
taatliche Maßnahmen, die eine mittelbare oder faktische Wirkung entfalten, können in ihrer Zielsetzung und Wirkung einem direkten Eingriff in Grundrechte als funktionales Äquivalent gleichkommen und müssen dann wie ein solcher behandelt werden. Als Abwehrrecht schützt Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG grundsätzlich auch vor staatlichen Maßnahmen, die lediglich mittelbar zu einer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit und des diesbezüglichen Selbstbestimmungsrechts führen, wenn ein Gesetz an die Wahrnehmung einer grundrechtlich geschützten Freiheit eine nachteilige Folge knüpft, um dieser Grundrechtswahrnehmung entgegenzuwirken."
Rechtsanwältin Dr. Brigitte Röhrig
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