2022-02-13 17:44:02
NIMM UND LIESUnterm Rad von Hermann Hesse Eine Erzählung über ein vernachlässigtes Thema
https://media.suhrkamp.de/mediadelivery/rendition/d0f13ce90154441599e920dda66dd860/-S395/hermann-hesse_1947.jpg „Unterm Rad“, einer frühen Erzählung von Hermann Hesse ist es zu verdanken, dass ich ein wenn auch gespaltener Fan von Hesse bin. Die Novelle handelt von Hans Giebenrath, einem begabten Jugendlichen, der an den Ansprüchen der Pädagogik an ihn schließlich endgültig scheitert. Natürlich ist hier auch eine Abrechnung Hesses mit der preußischen Internatskultur zu finden. Doch diese lokale Interpretation hat den globalen Gedanken, dass es eine DER Urängste des Menschen ist, unter die Räder zu kommen: Ob nun die Räder der Umstände, oder der eigenen Ansprüche, die Gefahr einer vollständigen Katastrophe begleitet den Menschen bereits bei den ersten (erfolgreichen?) Schritten einer schulischen Laufbahn.
Ich glaube „Unterm Rad“ liefert einige gute Analysen dafür, dass z.B. auch wohlwollende Nächste, den schaurigen, von Beginn vorhandenen Prozess des Untergehens nicht wahrnehmen können: Hans, als einziger aus seiner Stadt, erreicht die Teilnahme an einem Landesexamen in Stuttgart. Entsprechend bekommt er zwar einerseits Extraunterricht, aber auch Angelverbot und eine Einschränkung des Umgangs mit seinen Freunden. Jeder blickte auf eine zukünftige herrliche Karriere von Hans, aber nicht auf die verkümmernde Seele des Jungen. Lediglich der Schuster und pietistische Stundenbruder Flaig sieht mehr, gibt andere Ratschläge, scheitert schließlich aber auch daran, den „Jungen zu retten“ (Vergleiche dafür auch das ausführliche Zitat am Ende des Artikels).
Natürlich zeigt Hesse auch den Gegentyp von Hans auf, in Form von Hermann Heilner, dem Hans auf dem Internat im Kloster Maulbronn begegnet, nachdem er das Examen in Stuttgart überraschend gut bestanden hat. Heilner ist wohl intelligent und macht sich nichts aus der Schule und auch nichts daraus, dass er irgendwann, nach einer unerlaubten Flucht, des Internats verwiesen wird. Doch hier ist ja nicht wirklich eine Lösung für das „Ausharren im Räderwerk“ zu finden, sondern eher ein Entzug, eine Flucht aus dieser Räderung.
Neulich las ich in der Zeitung einen Artikel über eine Krankenpflegerin, die nun einen Prozess wegen Totschlags auf dem Hals hat, weil sie Corona-Positiv trotzdem zur Arbeit gegangen ist und sich nun verantworten muss, eine alte Dame, die sie wohl angesteckt hat, auf diese Weise „getötet zu haben“. Egal, wie diese Sache ausgehen sollte, ist diese Frau so plötzlich unter ein zerstörerisches Räderwerk gekommen.
Ähnliches las ich vor kurzem über die Wormser Prozesse : In den Neunzigern standen 25 Personen wegen des Verdachts des Kindesmissbrauchs jahrelang vor Gericht, einzig wegen einer Auswertung einer Kinderpsychologien, die die Aussagen der Kinder vor allem durch Suggestion bewirkt hat. Obwohl sich die meisten Vorwürfe nicht bewahrheitet haben und der Richter sich zum Ende des Prozesses bei den Beschuldigten entschuldigt hat, wurden ganze Existenzen zerstört. Viele verloren ihr Ansehen im Ort, einige griffen zum Selbstmord, Ehen gingen in Bruche, mehrere Kinder, die den verdächtigten Eltern weggenommen wurden, wurden in den Heimen wirklich Opfer von Kindesmissbrauch…
Worauf ich hinaus will ist, dass das „Unter-die-Räder-kommen“ wirklich jedem passieren kann. Heute noch „gesund und rot“, kann man morgen fürchterlich vom „Schicksal gerädert“ werden. Nicht dass ich an Schicksal glaube, sondern an die Führung eines Gottes, der immer gut ist. Diese Antwort kennt Hesse zugegebenermaßen nicht: Dass selbst im fürchterlichsten Räderwerk der Zerstörung Gott zu finden ist, ist ihm, trotz seiner frommen Erziehung nicht bekannt. Aber was wir trotzdem von Hess[...]
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